Zwischen Abenteuer und Unendlichkeit – Der Strand und eine Kindheit auf Langeoog

Ich bin ein bekennender Inselindianer – oder war es …

Ich habe ja schon mal an anderer Stelle durchblicken lassen, dass ich einen nicht unerheblichen Teil meines Lebens dort verbracht habe, wo andere Urlaub machen. Auf Langeoog. Einer der sieben ostfriesischen Inseln, die wie eine Perlenkette vor dem niedersächsischen Wattenmeer liegen. Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum. Oder wer es etwas griffiger und einprägsamer mag: Welcher Seemann liegt bei Nanni im Bett. Es soll mittlerweile eine weniger eindeutig zweideutige Eselsbrücke geben, bei der Seemänner im Watt buddeln, aber ich gestehe, dass ich in dem Fall überzeugter Traditionalist bin. Erstens muss man nicht alles dem Zeitgeist anpassen und zweitens ergibt ein Seemann, der bei seiner Seemannsbraut liegt, für mich mehr Sinn als buddelnde Seeleute. Ich bin in den späten ´70ern auf der Insel aufgeschlagen. Mehr un- als freiwillig, was wohl auch daran lag, dass man mit schmalen sechs Jahren im Familienrat eine ähnliche einflussreiche Stimme genießt wie der Gummibaum. Für meinen Vater war der Umzug von Rosenheim nach Ostfriesland ein Karrieresprung. Vom Erzieher im Schlossgymnasium Neubeuern zum Internatsleiter des Realschulvereins Langeoog e.V. Der Rest der Familie musste sich fügen. Kinder sollte man eh nur sehen und nicht hören. Zugegeben, ein spannender Ansatz für einen Pädagogen, aber Pädagogik hatte damals einen durchaus robusteren Ansatz und mein Vater war da ganz die alte Schule. Die ganz Alte, die ihren Ursprung vermutlich in den Folterkellern des Mittelalters hatte.    

Blick vom Wasserturm auf das alte Langeoog    

Der Strand und der Einsame

Ich habe mich schwergetan meine Liebe zur Insel zu finden. Das lag an vielem. An mir selbst, an meinem breiten bayrischen Dialekt, der auf plattdeutsch sprechende Mitschüler in den ´70er Jahren prallte und an einer Landschaft, die so anders war, als alles, was ich kannte, dass ich mich schon fast wie auf einer fremden Welt gefühlt habe. Die unverputzten roten Klinkerhäuser, Dünen, Sanddorn und natürlich die fehlenden Autos. Langeoog war und ist autofrei. Damals fühlte hat sich das für mich vollkommen verrückt angefühlt. Genauso verrückt, wie das Kutschtaxi, das wir bestellt haben, wenn wir in den Ferien weggefahren sind.

Eines habe ich allerdings immer geliebt. Den Strand. Vierzehn Kilometer feinsandige Unendlichkeit irgendwo zwischen Muschelfeld und Abenteuer. Ohne den Strand hätte es wahrscheinlich noch viel länger gedauert, die Liebe zu meiner neuen Heimat zu finden. Vielleicht wäre es auch nie passiert. Irgendwann ist mir dann auch klar geworden, dass dieser wundervoll harte Spülsaum, auf dem man bei Ebbe so toll spazieren gehen kann, bei Flut ca. zwei Meter unter Wasser liegt. Ich bin also auf dem Meeresboden herumgewandert. Als Kind hat mich diese Idee unglaublich fasziniert. Später dann nicht mehr so. Aber der Strand hat immer etwas gefunden, mit dem er mich in den Bann ziehen konnte. Bernstein zum Beispiel. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich nach dem Zeug gesucht habe, bevor ich zum ersten Mal Bernstein gefunden habe. Oder die sich ständig verändernden Priele, der Strand bei einer Sturmflut und natürlich der Strand im Sommer. Den hat mein pubertierendes Ich geliebt.

Bad im Meer auf Langeoog

 

Von Möwenfedern und Thermosflaschen

Und was wäre der Strand ohne das Strandjen. Das ist der plattdeutsche Begriff für allen möglichen Krempel am Strand einsammeln. Etwas wirklich Vernünftiges ist selten dabei gewesen, aber aus einem kaputten Badezimmerspiegel, einem Tau, jeder Menge Muscheln und Klebstoff und einem Aufhänger ist ein toller Spiegel geworden, der lange in meinem Zimmer hing. Und aus einem abenteuerlich verdrehten Holzstück und ein paar Möwenfedern habe ich Schreibfedern samt Federhalter gebastelt. Natürlich keine echten Schreibfedern, die man in ein Tintenfass tunken muss. Das hätte ich damals glaube ich nicht hinbekommen. Also habe ich bei den Federn einfach die Spitze unten abgeschnitten, das Innere mit einem Stück Draht ein wenig sauber gemacht und dann eine Kugelschreibermine hineingesteckt. Hat prima funktioniert – auch wenn der Kater danach Milben in den Ohren hatte und meine Mutter stocksauer war. Ein bisschen Kollateralschaden hat man halt immer.

Und manchmal ist auch wirklich was Tolles angespült worden. Es war Frühjahr 1982 glaube ich, als der ganze Strand mit bunten Thermoskannen übersäht war. Sie wissen schon, die gute alte ´70er Jahre Thermoskanne mit viel Plastik und einem Becher obendrauf. Potthässlich aber praktisch. Es waren Tausende und sie lagen überall herum. Ein englischer Frachter hatte mehrere Container im Sturm verloren. Ich glaube mich zu erinnern, dass es dreißigtausend Thermosflaschen gewesen sein sollen. Der Wahnsinn. Ich habe gleich drei mitgenommen. Strandjen ist schließlich Insulanerrecht. Irgendwann haben sie die Thermosflaschen eingesammelt und in der Meierei versteigert. Alle, die sie finden konnten, abzüglich der drei, ich für mich reserviert hatte. Die waren bei uns lange im Einsatz. Ist wirklich eine gute Qualität gewesen.

Für solche Fälle gab es auf Langeoog einen Strandvogt. Das hört sich zwar ähnlich ausgestorben an wie Dinosaurier und kommt eigentlich nur noch im Schimmelreiter vor, aber auf den Inseln gab es bis in die ´90er Jahre hinein einen echten Strandvogt, der seine Runden am Strand gezogen und nachgesehen hat, was angespült wurde. Da ging es dann um Bergelohn und Rechtsansprüche. Wie bei dem Mittelteil eines Schiffes, das mal an der Ostspitze gestrandet war und das die Insulaner nicht mehr rausrücken wollten. Aber das ist eine andere Geschichte …

Ein Schuh am Strand von Langeoog

 

Is Botter up Strand

Und damit wäre ich bei einem Gedicht, das vermutlich während des 1. Weltkrieges entstanden ist und von einem unbekannten Insulaner nach der Strandung einer Ladung Butter stammt:

Nord-Nordwest weht über das Meer,

öde dehnt sich der Strand und leer,

alles sitzt heute im warmen Haus,

nur die Inselwache späht aus.

Da, ein Raunen von Munde zu Munde,

trägt durch’s Dorf die seltsame Kunde:

„Rasmus“ warf heute was Gutes an Land –  

Is Botter up Strand!

 

Und wirklich, wo sonst mit Muscheln und Tang

schmuckendem Saume die Hochflut stand,

sehen ungläubige Augen verwundert

Kisten zu hundert und aberhundert,

Kisten und Fässer, mit Butter gefüllt,

daß der Segen schier überquillt,

goldgelbe Klumpen liegen im· Sand

Is Botter up Strand!

 

Frie is de Strandung, is Friesenrecht,

friesischer Spruch: Leever dot as Knecht!

Aber die stolzen Friesennacken,

bergen heute riesige Butterpacken,

im Dorf ist kein braunes Fäustchen in Not,

hält doch jedes ein tüchtiges Butterbrot.

Und selbst das ärmlichste Fischerhaus

sieht heute beinahe behäbig aus.

Eine Silbermöwe hockt dort im Sand

Is Botter up Strand!

Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich es zum ersten Mal in der Inselschule gehört.

Blick auf die Heerenhusstraße

 

Und jetzt?

Ich lebe schon lange nicht mehr auf Langeoog, so spielt das Leben eben manchmal. Trotzdem vermisse ich die Insel noch immer. Die Jahre auf dem kleinen Eiland haben mich tief geprägt. Vielleicht machen Sie ja mal Urlaub dort, dann denken Sie an mich, wenn sie am Strand sind. Und nehmen Sie ein gutes Buch mit, wenn Sie einen tag im Strandkorb verbringen. Ich hätte da auch schon ein paar Ideen, für den passenden Lesestoff

Thermoskannen am Strand von Langeoog
Quelle: Taz.de
Sklavin des Zorns von Laird Oliver

Kostenlose Leserunden, Gratis Ebooks, Neuerscheinungen …

Laird Olivers Newsletter